In meinem letzten Nachtdienst saß ich mit meinem lieben Kollegen im Stützpunkt unserer Station und tat eine meiner liebsten, aber auch meistgehassten Aktivitäten bei Langeweile: ein bisschen auf Tinder swipen. Mittlerweile ist mir das Ganze auch nicht mehr so unangenehm wie vor 5 Jahren, als ich noch versucht habe, mein Profil geheim zu halten, denn das darf ja keiner wissen, dass man auf diesen schmutzigen Portalen unterwegs ist. Aber heute waren die meisten ja schon mal auf so einer Plattform, also wen juckt’s denn noch. Mein Kollege durfte natürlich mitschauen, und als ich ein Match hatte, sagte ich direkt: „Der wird mir sowieso nicht antworten.“ Und mein Kollege sah mich nur verwirrt an: „Warum sollte er denn nicht? Er hat dir doch auch ein Like gegeben, oder?“ Ach ja, ich musste etwas schmunzeln, denn er ist seit langem in einer glücklichen Beziehung und war mit dem Online-Dating noch nie sehr vertraut gewesen. Ich, als Tinder-Urgestein – und das zu sagen ist mir dann doch ein bisschen unangenehm – weiß schon in etwa, wie das Ganze dort abläuft und wer evtl. wie antworten wird, allein anhand seines Profils. Tinder-Game durchgespielt also. Bitte nicht falsch verstehen, ab und zu gibt es schon eine erfrischende Ausnahme, bei der ein Mann nicht das schreibt, was man von Anfang an denken würde, dass er schreibt.
Und gerade frage ich mich wie sehr das Online- Dating meine Einstellung gegenüber Männern und der „Liebe“ verkorkst hat. Ich habe einige Freundinnen, die über Hinge oder Tinder ihren Liebsten kennengelernt haben und seit längerem auch in einer glücklichen Beziehung sind. Und meistens ist das auch mein einziger Hoffnungsschimmer, warum ich manchmal in ernsthafter Absicht auf dieser App herumdümpel. Oder ich hatte mal wieder ein schlechtes Date und rege mich so sehr darüber auf, dass ich erstmal aus Protest der Liebe gegenüber eine lockere Nachtbekanntschaft suche. Aber sogar das ist meistens auch ein sehr nerviger Akt. Bei 80% der Männer frage ich mich auch: „Möchtest du überhaupt eine Frau kennenlernen oder mit ihr ins Bett steigen?“ Die „Schreib-Skills“ der meisten sind so furchtbar schlecht, dass ich sie am liebsten an die Hand nehmen würde, um ihnen mal zu zeigen, wie man denn eine Frau richtig flachlegt. Oder die Männer denken bei meinem Profil: „Ja, bei der versuch ich´s mal dreist, vielleicht geht sie ja drauf ein.“ In meiner Tinder-Bio war ich zwar auch nicht sehr einfallsreich und habe geschrieben: „Es gibt einige Dinge die ich besser kann als Bios schreiben….“ und ihr glaubt nicht wie viele Männer das als Vorwand nutzen, um mich zu fragen, ob diese Dinge denn Bl*wjobs oder ähnliches seien. Irgendwie können die meisten Männer jeden Satz als etwas sexuelles interpretieren. Ein weiteres gutes Beispiel dafür wäre der 35-jährige Polizist, dem ich im Verlauf schrieb: „Ist ja auch ein sehr cooler Job :)“ und darauf die Antwort „Aha, da steht also jemand auf Uniformen ;)“ kam. Vielleicht sollte er im künstlerischen Bereich tätig werden, denn seine Interpretations-Skills sind so fantasievoll und grandios.
Die meisten Männer schießen sich mit ihrem Sex-Talk, vor dem ersten Treffen, meistens ziemlich ins aus. Da ist das beste Stück im Chat so groß wie eine Salatgurke und letztendlich auch einfach nur durchschnittlich (was mich an sich ja auch nicht stört, aber man denkt sich schon: „Warum setzt du die Erwartungen denn so hoch? Du tust dir doch selbst keinen Gefallen“) An dieser Stelle will ich keine männlichen Beschaffenheiten shamen, bitte denkt nicht ich sei so eine Person. Im vergangenen Jahr schrieb ich für ca. 3 Wochen mit einem Mann der ca. 2 Stunden weit weg wohnte und bereit war zu mir zu fahren, um zu schauen was denn da sein kann. Wir hatten beide früher keine Zeit, auf Grund des Jobs, ein Treffen zu organisieren und hatten oft telefoniert und viel geschrieben. An einem Abend, an dem ich etwas getrunken hatte, wollte ich auch einen spicy Chat führen und ließ mich darauf ein (zu meiner Verteidigung, wir hatten 2 Wochen geschrieben und telefoniert und ich dachte mir ich habe selbst ein bisschen Lust darauf). Es war eigentlich ganz aufregend und natürlich fielen Sätze wie: „Ich könnte das die ganze Nacht mit dir machen“ etc. und als es dann tatsächlich dazu kam, war die Sache nach 10 Minuten vorbei und dann ging nichts mehr. Ist ja alles nicht so schlimm, aber warum muss man denn davor die Erwartungen so unglaublich hoch setzen, wenn er vermutlich selbst schon weiß, dass er nicht die ganze Nacht durchhält. Ich sage ja auch nicht: „Das wird der beste Blowjob deines Lebens“, wenn nicht weiß, ob ich das garantieren kann.
Der Klassiker, dem ich häufig begegne, wenn ich einfach so auf einige Chats eingehe, ist die Frage: „Worauf stehst du denn?“ Und damit ist nicht gefragt, ob ich auf blonde oder braunhaarige Männer stehe, sondern ob ich lieber in D*ggy oder M*ssionarsstellung genommen werden will. Diese Frage wäre weniger ein Problem, wenn man sich schon mal auf einem Date etwas kennengelernt hat und sich dann darauf geeinigt hat, das Ganze zuhause weiterzuführen und *hust*hust* gerade dabei ist, es zu tun. Aber ist sie angebracht oder positiv für den weiteren Gesprächsverlauf, wenn es die zweite Frage nach „Wie geht es dir?“ ist? Und die Cherry on top dazu ist ja dann, wenn man sich dazu entscheidet, noch zu antworten, um vielleicht das Ganze noch in eine andere Richtung zu lenken ( meistens schreibe ich nur: „Können wir darüber reden, wenn es soweit ist?“) und man sich dann mit „Ah, da ist aber jemand schüchtern“ oder „Ein bisschen prüde biste schon“ auseinandersetzen muss. Ich gebe zu: Manchmal fange ich dann gerne an zu diskutieren, weil ich mir zu dem Zeitpunkt denke, dass ich diesen Typen eh nie sehen oder treffen werde. Das kann schon ganz unterhaltsam sein. Aber die Frage stellt sich weiterhin: Was dachten diese Männer, wohin sie diese Fragen bringen? Oder hat das schon häufiger funktioniert? Aber dann stellt sich mir in diesem Zuge wieder eine neue Frage: Welche Frauen, und vor allem wie viele, gehen darauf ein und sind dann mit diesen Männern im Bett gelandet? Erhoffen sich manche Männer auch nur einen kurzen Chat, der sie aufgeilt und das Selbstbewusstsein boostet, aber sind für eine echte Begegnung dann zu schüchtern?
Vermutlich sind das Fragen, welche sich auch nach jahrelanger Forschung nicht beantworten lassen. Ein Mann, mit dem ich eine gute Nacht verbracht hatte, fragte mich, wie es denn für mich online so ist und was ich so erlebt habe (er war übrigens einer der wenigen Männer, der es geschafft hat nicht über S*x zu reden bevor es überhaupt dazu kam und schaut mal wohin es ihn befördert hat). Ich erzählte ihm einiges und er meinte die meisten seien nur so unglaublich faul und probieren es so oft bis es klappt, aber er schlug auch nur die Hand vor den Kopf und fragte sich, was diese Männer sich noch erhofften. Natürlich fragte ich ihn auch wie die Mädels auf Tinder so sind und er meinte es gibt da zwei Gruppen: Die Frauen, die Ewigkeiten schreiben wollen und einen mehr oder weniger hinhalten, bevor man sich nach 2 Wochen dann vielleicht mal trifft und die kleinere Gruppe, zu der ich anscheinend gehörte, die sich eher direkt treffen wollen. Ich kann beide Gruppen an Frauen verstehen. Als Frau hat man natürlich Angst sich mit einem Wildfremden zu treffen und möchte das Ganze erstmal etwas ausloten. Aber ich bin ja nicht waghalsiger deswegen, oder? Ich habe immer eine Freundin, die meinen Standort hat und genau weiß wo und mit wem ich bin und Fotos, Name etc. von meinem Date hat, damit alles etwas abgesichert ist und die Kontrollnachrichten sind ja auch immer Pflicht.
Um zurück auf meine Frage zu kommen, ob mich das online dating verkorkst hat: Vermutlich ja. Die Vorstellung die ich von Männern habe ist ziemlich unromantisch und lässt mich häufiger darüber nachdenken, ob ich es nicht doch noch einmal mit Frauen probieren soll, aber dann denke ich eine Minute weiter und realisiere, dass ich leider tatsächlich nur an Männern interessiert bin. Aber diesen Gedanken haben schon so viele Freunde gehabt oder die Mädels mit denen man an einem Clubabend eine Seelenverwandtschaft für eine Stunde entwickelt und über Gott und die Welt redet. Also bin ich damit nicht allein und das ist schon einmal beruhigend. Außerdem geben mir Begegnungen, wie meine schnelle Bekanntschaft, der fürs erste alles richtig gemacht hat oder tatsächlich die Freundinnen, die sogar online ihre Liebe gefunden haben, einen kleinen Lichtblick.
Ich möchte auch noch einmal das Thema „Ghosting“ in den Raum werfen. Ja, es ist kein Geheimnis, dass die meisten Männer einfach jede Frau nach rechts swipen und schauen, was dabei rumkommt. Aber warum wird man angeschrieben, um nach zwei Nachrichten keine Antwort mehr zu bekommen? War ich jetzt schon so langweilig, dass du mich direkt ignorierst, oder hast du in der Zwischenzeit tatsächlich drei hottere Girls gefunden, die dir zuverlässig schreiben? Wenn ich selbst in einem Chatverlauf keine Fragen gestellt bekomme und nur „Cool“, „Nein“, „Genau“ und nicht mehr bekomme, antworte ich auch nicht mehr, weil worauf denn? Aber das ist ja auch ein bisschen was anderes, als tatsächlich ein Date oder eine lange gute Konversation gehabt zu haben. Ich bin ja ein großer Fan von Ehrlichkeit, auch wenn ich eigentlich keinem eine Rechenschaft schuldig bin. Aber wenn man nach einem Date merkt, dass der Funken halt nicht übergesprungen ist, kann man doch noch schreiben, dass es ein schöner Abend war, aber man kein weiteres Interesse hat, anstatt nichts mehr zu schreiben oder Nachrichten zu ignorieren. Ein bisschen Wertschätzung für den Gegenüber kann man doch aufbringen, oder? Vor einigen Wochen hatte ich ein wunderschönes Date, das auch ungeplant acht Stunden lang ging und wir uns direkt sicher waren, dass wir uns auf ein zweites Date treffen wollen. Dieses hat dann auch ein paar Tage später stattgefunden und hatte plötzlich einen ganz anderen Vibe. Danach meldete er sich nur noch sporadisch oder gar nicht, und meine Frage „Woran bin ich denn bei dir, möchtest du mich eigentlich noch einmal sehen?“ schien ihn völlig aus der Bahn zu werfen. Da kam erstmal für 24 Stunden gar keine Antwort. Und was dann kam, war nur: „Ich bin doch noch nicht bereit für etwas Festes und wie soll ich das nach zwei Dates denn wissen?“ Hmm, eigentlich wollte ich nur wissen, ob du es weiter probieren willst, aber naja. Ich wünschte ihm alles Gute, aber darauf antwortete er schon nicht mehr, und vorbei war der Zauber. Ach ja, viel zu oft sitze ich vor meinem Handy und denke nur „Hää?“, aber vielleicht denken sich ja Männer bei mir dasselbe, wenn sie mit mir schreiben.
Dating ist nach wie vor anstrengend und frustrierend. Jeden Tag sage ich mir wieder: „Lass es einfach, verfolge erstmal dein Lebensziel und der Richtige wird schon kommen.“ Aber jetzt mal ehrlich: Ich möchte auch mal kuscheln, Spaß haben und tiefgründige Gespräche führen oder das Gefühl haben, dass sich jemand um mich sorgt oder sich richtig für mich interessiert. Das kann ich nicht einfach abschalten und mir denken ich kann da noch Jahre drauf warten. „Stört mich nicht“ (und jetzt muss ich gerade an die Männer denken, die das lesen und sich überlegen einen Kommentar wie „ach Schatzi wir können gerne mal kuscheln“ zu schreiben. Nein bitte tut es nicht.) Ich sage euch, ich bleibe dran. Meine Hoffnung brennt zwar nicht mehr so stark, aber sie glimmt noch und aufgeben mochte ich generell noch nie. Ich halte euch auf dem Laufenden und ich freue mich etwas über eure Tinder-Fails zu hören!
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